Unvergütete Ferngläser

Vorweg eine Anmerkung: unvergütete Ferngläser sind in der Regel historische Instrumente. Für heutige professionelle Anwendungen sind sie kaum geeignet. Moderne mehrfach vergütete Ferngläser sind u.a.: lichtstärker, kontrastreicher, kleiner, handlicher und besitzen komfortableres Einblickverhalten (Brillentauglichkeit). Bei vielen Tätigkeiten ist moderne Technik unverzichtbar.  
Werden Ferngläser aber in der Freizeit bei gutem Wetter ohne Notwendigkeit besonderer  Detailerkennung verwendet kommen auch andere Gesichtspunkte zum tragen, die gelegentlichen Einsatz älterer unvergüteter Ferngläser interessant machen. Hochwertige ältere Ferngläser besitzen vielfach eine gewisse 'Poesie' weil das Bild nicht alleine auf Reduzierung optischer Fehler und 'Leistungsfähigkeit' hin konzipiert sind, sondern - so verwunderlich es klingen mag - auf ansprechende, schöne, stimmige Bilder hin. 


'Ein am Computer berechnetes, meßtechnisch perfektes Fernglas mit kaltem, scharfen und hellem Bild, mit hoher Auflösung am Bildrand, ist gut und schön - es muß aber nicht das Fernglas sein, das mich persönlich anspricht - schon gar nicht dann, wenn es mir nur ein kleines Bild zeigt, das nicht einmal dem ''1920-Standard'' des Delactis entspricht.'
(H.T. Seeger: Zeiss Handferngläser 1919-1946; Hamburg 2015)

CZJ Telact 8x24. Gutes unvergütetes Fernglas. Von ca. 1907 - 1914 in größerer Stückzahl produziert. Sehfeld 115m / 1000m.  5 Gruppen (10 Luft-Glas-Übergänge). Doppelstöckige Anordnung der Prismen. Dadurch relativ langes, vorteilhaftes optisches Design.

Diese älteren Gläser vermitteln mitunter eine größere Unmittelbarkeit und realere, wirklichere Bilder als moderne Optiken. Dezente, feine Abstufungen von Helligkeiten, wahren Farben, von Schattierungen und Reflexionen bleiben in unvergüteten 'dunklen' Ferngläsern oft besser erhalten. Tatsächlich verhält sich die Abbildung durch unvergütete Optiken ähnlich dem menschlichen Auge. Das Streulicht verstärkt Dunkelheiten und Schatten. Dunkelheiten werden früher über die Sichtschwelle gehoben. Das Bild der unvergüteten Optik ist auch bei geringerer Helligkeit ruhiger, unspektakulärer, verträglicher, dabei ausreichend scharf und fördert mit oft weiteren Sehfeldern ganzheitliche Wahrnehmung. Nicht umsonst verwenden manche Foto-Liebhaber heute bewusst auch unvergütete oder einfach vergütete Optiken. Voigtländer/Cosina fertigt heute unvergütete bzw. einfach vergütete Objektive für Freunde dieser besonderen Bildwirkung.

 

Diese besondere Qualität wird kaum wahrgenommen oder thematisiert. Vereinzelt stößt man in Foto- oder Fernglasforen auf Randbemerkungen, nebenbei angesprochene Erfahrungen zu dem Phänomen unerwartet hoher Abbildungsqualität und Eigenwert unvergüteter Optiken. Die Option unvergütete Ferngläser steht in einem gewissen Kontrast zum allgemeinen Verständnis von Anwendern und Herstellern moderner Optiken. Sie steht aber wiederum im Einklang mit der Gewöhnung an selbstverständliche Wiedergabe  verfremdeter, intensiver Farben an hinterleuchteten Monitoren oder Bildschirmen von Mediengeräten. Heutige Ferngläser nehmen eingeübte Wahrnehmungs-Mechanismen auf, geben häufig bildschirmähnliche, kontrastreiche, brillante, farbige Bilder wieder. Ohne Aktion, ohne Ziel 'verschleißen' auf spektakuläre Bildwirkung ausgelegten Ferngläser schnell die Wahrnehmung, werden schlichtweg bald  langweilig. Sie wirken ein wenig wie HD Filme in denen wenig oder einfach Garnichts 'passiert'. Echte Bilder von Wirklichkeit hingegen, wahre Farbigkeit, die im Unterbewussten auch so aufgenommen, erkannt werden, sind nicht langweilig, erhalten Aufmerksamkeit auf reale Umwelt wach, ermüden nicht.

 

Sicher darf man nicht Zuviel von älteren Ferngläsern ohne T-Belag verlangen.   Eigenschaften und Qualitäten dieser Gläser lassen sich am besten im Sommerhalbjahr an Tagen ohne geschlossene Wolkendecke nutzen. Im Winter bei bedecktem Himmel kommen ältere Ferngläser schnell an ihre Grenzen und man nimmt dann gerne wieder etwas aus neuerer Produktion zur Hand. Der Gebrauch ganz unterschiedlicher Ferngläser schärft das eigene Unterscheidungsvermögen, lässt Dinge aus verschiedenen Perspektiven sehen und verschafft anregende Abwechslung. 

Huet Indix 6x24. Gutes unvergütetes Fernglas. Von den 20er bis Ende der 30er Jahre für die Französische und Indische Armee produziert. Sehfeld 150 / 1000m. 5 Gruppen (10 Luft-Glas-Übergänge). Sehr handlich. Schöner, präziser Seheindruck. Relativ hell.

Die Alltagstauglichkeit älterer Ferngläser wird in erster Linie von der Lichttransmission und damit von Anzahl der Luft-Glas Übergänge bestimmt. Ohne reflexmindernde Beschichtung (Vergütung / T-Belag) liegen die Reflektionsverluste an jedem Luft-Glas Übergang in Größenordnung von 4% (für beide Seiten einer Linse 8%). Bei 10 Luft-Glas Übergängen (5 Linsen oder Prismen) ergeben sich also rund 40% Reflektionsverluste. Mit Berücksichtigung hinzukommender Glas-Transmissionsverlusten reduziert sich die Rest-Lichttransmission dann auf unter 60 %, bei 12 Luft-Glas Übergängen sogar auf nur knapp 50 %. Eine gewisse Alltagstauglichkeit, auch bei weniger guten Wetterbedingungen endet für Ferngläser unter 50 mm Objektivdurchmesser bei ca. 55 - 60 % Lichttransmission (persönliche Einschätzung). Das war Anlass für eine, von den Englischen Firmen Ross bzw. Barr & Stroud in den 20er und 30er Jahren angestoßene Entwicklung lichtstarker unvergüteter Ferngläsern mit Porro II Prismen und aufgekitteter Okular-Feldlinse. Diese Gläser hatten nur 6 Luft-Glas Übergänge. Mit rund 70% Lichttransmission liegen sie in der Nähe einfach vergüteter Ferngläser. Wegen höheren Fertigungsaufwandes und später allgemeiner Verfügbarkeit reflexionsmindernder Beschichtungen haben sich diese Konstruktionen aber nicht auf Dauer durchsetzen können. 


Häufig sind alte Ferngläser in einem wenig ansehnlichem Zustand. Oft ist nicht nur die Außenseite, sondern auch die Optik innen verschmutzt, bis hin zum Pilzbefall. Auch wenn die Reinigung von Ferngläsern, ggf. auch neu Verkittung von Linsen mit Aufwand verbunden ist, so ist das ohne weiteres möglich, solange Linsen und Prismen nicht verkratzt oder gesprungen sind ('Chips'). Viele Ferngläser wurden früher einmal 'verpecht', d.h. mit einer Dichtmasse wetterfest gemacht und sind heute nur mit erhöhtem Aufwand zu demontieren und zu reinigen. Zur Kompensation  chromatischer Aberration sind i.d.R. zwei oder drei Element im Fernglas aus zwei Linsen verschiedener Glasarten zusammengesetzt (Achromate) und miteinander verklebt (verkittet). Früher verwendete organische Verbindungsmittel (Baumharz: 'Kanadabalsam') unterliegen unterschiedlichem Alterungsverhalten. Je nach Nutzung und Lagerung kann es zu störenden Braun-Gelbfärbung und zu Unschärfen bzw. Trübung des Bildes kommen. 


Beim Kauf eines unvergüteten Fernglases kann es Überraschungen geben. Mit Einführung   des T-Belags bei Zeiss ab 1935 wurden zunächst vorwiegend Marineferngläser vergütet. Nach 1945 wurden dann zunehmend auch zivile Ferngläser mit reflexmindernden Schichten versehen. Es gibt jedoch Fälle in denen ältere Ferngläser nachträglich vergütete oder Teile aus neuern vergüteten Ferngläsern in ältere eingebaut wurden. Daher lohnt sich das Fernglas (soweit möglich) vor dem Kauf genau anzusehen. Meist kann man den Blauschimmer vergüteter Elemente erkennen.


'Alte' unvergütete Markenferngläser haben einen großen Vorteil. Sie sind zumeist einfach und robust gebaut und oft in sehr hoher Präzision hergestellt. Ein Zeiss Handfernglas hatte Anfang des 20. Jh. den Gegenwert des Monatsgehalts eines gehobenen Beamten. Die Qualität dieser Gläser ist bis in die 20er Jahre sehr gut. Prismen sitzen mit leichter Spannung in zehntel Millimeter genau gefrästen Aussparungen. Die Glaselemente mit überraschend hoher Lichttransmission sind aus Borrosilikatglas hergestellt. Linsen und Prismen wurden mit großer Sorgfalt geschliffen und auspoliert. Wenn ein solches Zeissglas heute auseinandergenommen, gereinigt und die Justierringe der Objektive neutral gestellt wird, stimmt die Kollimation nach 100 Jahren wieder genau. Diese Ferngläser sind meist recht handlich und besitzen eine eigene Ästhetik, einen eigenen Charakter, eigene Anmutung. Sie sind ein Stück Zeitgeschichte und wenn Sie gut restauriert sind in ihrer Leistung wieder annähernd neuwertig. Sie liefern natürliche und scharfe Bilder.

Zeiss Binoctar(em) 7x50 (Foto) und Dekar(em) 10x50. Gute unvergütete Ferngläser (vor 1945 produzierte Exemplare). Ab den 20er Jahren hergestellt. Sehfeld Binoctar 128m / 1000m, 5 Gruppen. Sehfeld Dekar  128m / 1000m, 6 Gruppen (Weitwinkel). Relativ helle unvergütete Ferngläser mit ausreichender Randschärfe (subjektiv besser als nach 1947 produzierte Exemplare).